De LINDAU Wiki

Ein Koffer von Thomas Mann in Lindau:


Am 17. März 1933 erklärte Thomas Mann seinen Austritt aus der gleichgeschalteten bayr. Akademie der Künste. Andererseits aber hoffte er immer noch, dass Hitlers Herrschaft nur von kurzer Dauer sein würde. Unsicherheit, Angst und Verzweiflung plagten den fast 58-Jährigen und hielten ihn für Wochen von der gewohnten Routine des Schreibens ab.

Vor allem sorgte sich Thomas Mann, dass seine von früh an geführten und in einem Safe seines Arbeitszimmers in München verwahrten Tagebücher, in denen er recht freimütig über seine homoerotischen Neigungen Auskunft gegeben hatte, in die Hände der Nazis fallen könnten. Deshalb beauftragte er seinen Sohn Golo, die Hefte zusammen mit anderem Material in einen Koffer zu packen und in die Schweiz zu schicken: "Ich rechne auf Deine Diskretion, dass Du nichts von diesen Dingen lesen wirst."

Ordentlich gab Sohn Golo den Koffer am 10. April bei der Bahn auf – doch er kam nicht an. Thomas Mann geriet in Panik: "Furchtbares, ja Tödliches kann geschehen."


Tatsächlich war der Koffer von der Grenzpolizei in Lindau konfisziert worden. Der zuständige Beamte interessierte sich freilich nur für die obenauf liegenden Verlagsverträge und die darin aufgeführten beträchtlichen Summen.

Über die Münchner Polizeidirektion gelangten die Dokumente in die Hände des Finanzamtes. Nach gründlicher Prüfung auf mögliche Steuerhinterziehung wurden sie nach Lindau zurückgeschickt und wieder in den Koffer gepackt.

Erst Mitte Mai 1933 sollte das von Mann vermisste Stück ihm ins südfranzösischen Bandol nachgeschickt werden. Thomas Manns Erleichterung war groß. (Viele Jahre später, im amerikanischen Exil, vernichtete er die kompromittierenden Hefte.)